„Wie der Dumme zur Backpfeife“

„Wie der Dumme zur Backpfeife“
Erinnerungen an den 4. Paneuropa-Halbmarathon Stadlern (D) – Poběžovice (CZ) 18. August 2012

Ferien auf dem Bauernhof in der Oberpfalz ist für alle Kinder sicher eine reizvolle Sache. Für mich als Familienvater und passionierten Läufer hingegen kann auch Bewegung und Sport den Urlaub würzen und so meldete ich mich – natürlich in Absprache mit der ganzen Familie – bei einem regional grenzüberschreitenden Halbmarathon zwischen dem kleinen Örtchen Stadlern in der Oberpfalz und der auf tschechisch-böhmischer Seite liegenden Ortschaft Poběžovice an. Von sowohl tschechischer als auch deutscher Seite organisiert, mitfinanziert durch die Europäische Union, steht hier die regionale Entwicklung und Völkerverständigung einer Region im Vordergrund, die fast 45 Jahre durch den sog. Eisernen Vorhang getrennt war. In einem kleinen Starterfeld von nur ca. 50 Läufern, von lokaler Polit- und Sportprominenz eskortiert (so gab beispielsweise 2010 Jarmila Kratochvilová, immer noch amtierende Weltrekordhalterin über 800 m, den Startschuss zur 2. Halbmarathon-Auflage), stellte ich mich zu den Klängen böhmischer Blasmusik mit wenig Ambitionen auf sportlichen Erfolg an den Startstrich. Bei lockerer Stimmung und sonnigen 25°C waren die tschechischen Sportler bereits per Bus nach Stadlern gebracht worden; die Bürgermeister sprachen die für diese Veranstaltungsart politisch obligaten Worte, der Startschuss ertönte und ich hoffte mit irgendeinem Läufer in ähnlichem Tempo gut durch die hügelige Landschaft zu kommen.

Ein gewisser Max, den ich vor dem Start ansprach, hätte eigentlich gut zu meinem Laufniveau gepasst – er verließ mich aber bereits in der „Einführungsrunde“ um den Stadlernen Sportplatz. Nach 2 Kilometer schmückte ich bereits das letzte Drittel des Feldes und lief bei ca. 4 Kilometern an einen tschechischen Läufer heran, der nach kurzem Gespräch sich eine ähnliche Laufeinteilung vorgenommen hatte. Dies freute mich sehr, laufe ich durch unbekanntes Terrain doch höchst ungern allein. Zudem hatte ich Bedenken, vielleicht irgendwo falsch abzubiegen.

Über den ersten Berg kamen wir zusammen recht gut, am 2. Anstieg jedoch musste ich abreißen lassen, was im späteren Verlauf des Rennens – hier wurde dann ausnahmsweise mäßige Laufform belohnt – mein Glück werden sollte. Im Wechsel von Gehschrittpassagen und Laufeinlagen auf den flacheren Teilstücken, schob ich mich dennoch an einen weiteren Läufer heran, den ich noch vor dem Gipfel erreichte. Nach anfänglich englischer Konversation, da ich ihn auf Grund seines schwer verständlichen oberpfälzer Dialektes für einen Tschechen hielt, einigten wir uns dann doch auf das für uns beide sicher beherrschte Deutsch. Die am Berggipfel bei Kilometer 11 gemessene Durchgangszeit von 1:03 h wird sicher jeden halbwegs trainierten Läufer nicht aus der Kutte hauen – aber als Leipziger in den Bergen lag ich jedoch trefflich in meinem Zeitplan. Dennoch nahm ich bei dem nun folgenden Abstieg meinem Mitstreiter Martin ungewollt einige Meter ab, der sich zudem etwas länger am Getränkestand aufgehalten hatte.

Der entscheidende Punkt des gesamten Laufes sollte dann etwa bei Kilometer 12 kommen, wo zwei orangefarbene Pfeile sowie ein auf dem Boden gezeichneter Pfeil eindringlich dazu aufriefen, jetzt scharf nach links abzubiegen, was gleichermaßen ungewöhnlich und verdächtig zugleich für mich war, da ja die Strecke bislang nicht durch orangene Pfeilen gekennzeichnet wurde. Da das Wetterschön war, ich keinen Läufer im Nacken hatte und Bestzeiten durch mich ohnehin nicht in Gefahr gerieten, entschloss ich mich auf Martin zu warten, um mit ihm den Weg weiter abzustimmen, denn den Mut irgendwo bei Kilometer 12 allein ins dünn besiedelte tschechische Grenzgebiet abzubiegen, hatte ich dann doch nicht. Gottlob erkannte ich bald meinen Laufpartner vom Gipfel wieder, der – und ihm gebührt dafür mein großer Dank – die Strecke bereits frühmorgens per Motorrad abgefahren war. Somit lotste er mich auf den richtigen Pfad, und nicht, wie sich später rausstellte, auf die Strecke des zeitgleich stattfindenden Mountainbike-Cups.

Durch zwei kleine tschechische Dörfer bis Poběžovic in moderater Zeit von 1:50 h erreichte ich erschöpft aber glücklich den Zielbogen. Sogleich wurde ich vom deutschen Organisator Manuel befragt, der in Unkenntnis meiner sportlichen Qualitäten, sicherlich eine bessere Zeit von mir erwartet hatte: „Du hast Dich doch sicher auch verlaufen?“, um sogleich noch zu ergänzen: „Mensch, mir fehlt hier noch die halbe Gruppe!“ Nun ja, ich gab zu verstehen, dass jene Zielzeit durchaus meinem Leistungsvermögen entspricht und klärte Manuel auf, dass an besagter Stelle der Sportfreund Martin mir den rechten Weg gewiesen hatte. Nach dem üppigen Genuss an Isogetränken, Bananen, Schokolade und sogar tschechischem Gulasch mit Knödeln, schlenderte ich nichts ahnend zur Siegerehrung. In der Regel muss man bei einer Endzeit von 1:50 h bei der Siegerehrung nicht sonderlich aufpassen, doch diesmal wurde ich zu meiner größten Überraschung pokaldekoriert auf Platz 3 meiner Altersklasse aufs Podest gebeten.

Und so kam ich, wie meine Oma des Öfteren sagte, wie der Dumme zur Backpfeife, d.h. zu meinem ersten und vermutlich auch letzten Pokal meiner Läuferkarriere. Auf dem Siegerpodest fühlte ich mich wie ein Minardi/Lotus/Sauber-oder Sonstwas-Formel 1-Pilot beim Großen Preis von Monaco, der völlig chancenlos auf Platz 15 bis 20 das gesamte Rennen „herumgurkt“, um sich plötzlich auf dem Treppchen wiederzufinden, weil vor ihm alle Fahrer aus verschiedensten Gründen ausgeschieden oder disqualifiziert worden sind. Und so möchte ich auch die freundlichen tschechischen Worte der Organisatoren einschließlich des Vaters und Sohnes Faschingbauer (sind wohl bekannte tschechische Leichtathleten) und auch des ehemaligen tschechischen Justizministers Jiří Pospíšil sinngemäß als jene des monegassischen Fürst Rainier interpretieren, der mit der Floskel „Schön, dass gerade Sie es sind!“ alljährlich die Sieger des Monaco-Grand-Prix beglückwünschte. Wie später bekannt wurde, hatten all jene, die an besagter Stelle irrtümlich auf die Mountainbike-Strecke abgebogen waren, eine ca. 9 km längere Laufstrecke und zudem ohne Verpflegungsstände zu absolvieren. Vom Organisationskomitee sowie von der Feuerwehr wurde ein Teil dieser Läufer irgendwo eingesammelt und zum Ziel gebracht.

Helmmar Herold, August, 2012 LC Auensee