20. Südraum-Marathon
– von Andreas Gelhaar –
14.09.2019 – der Tag großer Ereignisse und Jubiläen. Bernhard Müller feiert heute seinen 75. Geburtstag und erwartet uns Südraumläufer am Abend zum Geburtstagsumtrunk gemeinsam mit der Laufgruppe im Sportpark auf dem Rabenberg. Helge Hallmann bestreitet als Einziger auf dieser Welt das 20. Mal den Leipziger Südraum-Marathon und hat weder Kosten noch Mühen gescheut, um dieses Ereignis mit einem von ihm dafür sehr schön gestalteten T-Shirt gebührend zu würdigen. Ich bin 10-mal (eigentlich 11) dabei und laufe das 5. Mal mit Helge. Da die in den letzten Jahren üblichen Kandidaten für das Team Fockebergpower andere Verpflichtungen haben und für das Jubiläum nicht zur Verfügung stehen, ist heute die junge Garde gefragt. Unser dritter Mann Christian Sieler, gerade mal halb so alt wie seine beiden Mitstreiter, hat bei dem Ereignis im Leipziger Süden Premiere und übergibt vor dem Start an den Chef der Mission seinen Aufnahmeantrag als Mitglied unserer Laufgruppe. Deren Durchschnittsalter sinkt damit von vorher 61,2 auf nun 59,8 Jahre – wir müssen wohl mal etwas für die Nachwuchsarbeit tun!
Jörg Bauer hatte gerufen und die Teams stehen bei phantastischem Spätsommerwetter zu Hauf auf der Matte. Sind 2018 lediglich 49 Teams in der Ergebnisliste zu finden, so weist die von heute immerhin 17 mehr auf. Eine Steigerung um satte 35 %! Manfred Kolbe, Ex-Bundestagsabgeordneter und seines Zeichens Herr vom Schloss in Störmthal hat dessen Tore wieder weit für die Organisatoren und Marathonis geöffnet. Und auch der Mann, der vor 20 Jahren die Idee des Mix aus Laufen und Fahrradfahren hatte, Ulf Winkler, ist überraschend vor Ort und bietet sich spontan als Helfer an. Moderator Andreas Claus ist wieder ganz in seinem Element und liefert Informationen und Unterhaltung am laufenden Band. Der auf der Wiese vor dem Schloss eingerichtete Freisitz animierte allerdings angesichts des kapitalen Biergartenwetters überhaupt nicht dazu laufen zu gehen, sondern sich anderen Genüssen hinzugeben.
Wenn auch nach Aussage von Jörg Bauer in jedem Jahr eine neue Laufstrecke kreiert wurde, was die Veranstaltung als Alleinstellungsmerkmal auszeichnet, so haben sich doch die Regeln nie verändert: Zwei des Dreierteams sitzen auf dem Rad und einer ist immer laufenderweise unterwegs. Der Wechselrhythmus ist beliebig und es müssen alle gemeinsam ins Ziel kommen.
Der Start läuft wieder traditionell ab. Als die Großpösnaer Bürgermeisterin nach einigen Fehlversuchen endlich den Startschuss hinbekommt, sind die Radfahrer schon auf dem ersten Kilometer rund um das Schloss unterwegs. Wieder angekommen wird dann gemeinsam dem Start der ersten Läufer beigewohnt und nach deren erstem Kilometer der erste Wechsel vollzogen.
Christian übernimmt bei uns den ersten Part und übergibt danach an mich. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass der zweite Starter heute leicht die sog. Arschkarte gezogen hat. Bis auf eine Ausnahme bin ich heute bei allen Bergaufpassagen Mode. Nach meiner Pleite infolge eines Muskelfaserrisses bereits nach 8 km vor zwei Jahren, habe ich mich heute mehrere Kilometer eingelaufen und versuche Fahrt aufzunehmen. Wechselrhythmus ist wieder bei einem halben Kilometer. Wir kommen gut ins Rollen. Und es ist auch gleich von Anfang an zu merken, dass da ein M30-Läufer mitmischt. Das Tachodisplay zeigte stets mindestens 15 km/h an. Nachteil für die Radfahrer: Recht kurze Erholungszeiten.
In diesem Jahr geht es gleich erstmal ins Oberholz. Von der Hornissenattacke auf einen Läufer erfahren wir erst im Ziel. Den Ort des Insektenüberfalls hatten wir offensichtlich noch zuvor ungeschoren passieren können.
Zu Anfang ist besonders auf den schmalen Wegpassagen ein ganz schönes Gedränge, aber dann klärt es sich und die Abstände zwischen den Teams werden größer. Wir verlassen das Oberholz, unterqueren die Ortsumfahrung Störmthal und begeben uns auf den breiten asphaltierten Weg im Uhrzeigersinn zur Umrundung des gleichnamigen Sees. Den sich hinziehenden leichten Anstieg bis zum Aussichtspunkt übernehme natürlich ich, während Helge den 11%-Berg abwärts brausen darf. Es geht über die neue Göselbrücke bis zum Dispatcherturm und dort wieder hinab zum See. Nachdem ich mit der dortigen Streckenpostin Kathleen Fell nun schon die dritte Frau am Streckenrand begrüßt habe, meine ich doch einen leichten Neid aus Helges Stimme heraus zu hören. Den Anstieg zur Südspitze des Störmthaler Sees kann ich mir zum Glück mit Christian teilen. Bis jetzt läuft alles schön rund, wenn auch Helge beim Anlaufen seines Abschnittes jedes Mal einige Schritte unrund läuft und über Schmerzen in der Gegend seiner linken Arschbacke klagt. Die Halbmarathonmarke passieren wir mit einem beruhigenden Polster auf unsere 3-Stunden-Schallmauer in 1:26:30 h.
Zur Verlängerung der Erholungszeit der Senioren übernimmt jetzt Christian mal einen ganzen Kilometer, ohne dass sich damit bei Helges Leiden etwas substantiell verbessern konnte. Schön ist es aber trotzdem, einmal etwas länger Pause zu haben. Mittlerweile merken nicht nur wir beiden M60-Läufer, dass die Kräfte etwas schwinden. Auch Christian ist nach eigener Aussage ganz schön platt. Außerdem hat er Helges Spezialgetränk nicht vertragen und sich dadurch schon seit dem ersten Schluck ziemlich heftige Magenprobleme eingefangen. Wir mutieren so langsam zu einem Versehrtenteam.
Bei ungefähr km 35 ist es dann soweit: Helges linke Arschbacke verweigert ihm das Weiterlaufen, sodass wir nun den Rest zu zweit bestreiten müssen: Die gleiche Konstellation wie vor zwei Jahren, bloß, dass das damals Helge und Uwe über 35 km machen mussten! Jetzt werden die Verpflegungsstellen dringender denn je gebraucht.
Vom Markkleeberger See kommend überqueren wir die Autobahn und biegen rechts steil ab wieder in Richtung Wasser. Nach kurzer Zeit kommt dann das vermeintlich übelste Stück der Strecke. Es geht vom See aus, ohne die Chance mal kurz durchzuatmen zu können, ewig lang hinauf bis zum asphaltierten Rundweg. Als ich im Schleichgang heftig pumpend da oben ankomme, trifft mich fast der Schlag: Es geht sofort wieder hinunter. Aber immerhin darf ich das Stück zumindest auch laufen.
Nach einer kurzen ebenen Passage müssen wir nun noch einmal nach oben. Da das ja wieder mal mein Part ist, schicke ich die beiden Radfahrer nach vorn, damit sie sich da schon halbwegs in Ruhe hochquälen können. Christian ist es anzusehen, dass er sich heftig schinden muss. Die letzten Meter geben wir noch mal alles, aber ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es wohl ganz knapp, aber leider nichts mit dem Knacken der 3-Stunden-Schallmauer werden wird – in 3:01:07 h überqueren wir die Ziellinie. Kleine traurige Konsequenz von Helges Handicap: Er kann zu seinem Jubiläum nicht, wie geplant, den Zieleinlauf laufenderweise vollziehen. Aber egal, geschafft ist geschafft. Helge wird von Moderator und Publikum gebührend gewürdigt.
Und es ist heute nicht nur Helges großer Tag, auch die Sieger schreiben Geschichte. Das Trio Rico und Gregor Bogen sowie Max Betsch pulverisieren mit einer Laufzeit von 2:01:17 h – das sind 2:52,5 Minuten für jeden Kilometer – die bisherige Veranstaltungsbestzeit und den Weltrekord von Kipchoge im Marathon.
Wir lösen gleich erstmal die Verzehrbons ein. Das Bier zischt und Bratwurst und Boulette schmecken. Nur Christian kann noch keine feste Nahrung zu sich nehmen. Über sein Schnitzel freut sich die junge Garde am Nachbartisch. Dann kann ich Helge doch noch überreden, dass wir nicht erst auf dem Rabenberg, sondern schon hier duschen gehen. Es sind immerhin Unisex-Duschen, vielleicht überzeugt ihn das. Die Frequentierung durch das weibliche Geschlecht ist jedoch bei null. Naja, zumindest kleben wir nicht mehr, was ja bei zwei Stunden im Auto auch nicht schlecht ist.
Wir wollen nach dem Verstauen der Räder auf dem Fahrradträger gerade in Richtung Rabenberg starten, als wir zurückgepfiffen werden. Für den Laufjubilar steht noch eine Extra-Ehrung durch den Veranstalter an. Aus den Händen von Sigrid Koitz, Jörg Bauer und Kuhstall-Chef Peter Krümmel bekommt Helge einen kleinen Pokal überreicht.
Gegen fünf sitzen wir dann im Auto. Die standesgemäße, sehr schöne Siegerehrung auf dem Schlossbalkon bekommen wird daher nicht mehr mit.
Unterwegs ereilt uns dann noch durch die weiblichen Laufgruppenmitglieder ein Hilferuf vom Rabenberg nach Eierlikör, Den besorgen wir natürlich noch.
Andreas Gelhaar
Laufgruppe SG LVB Leipzig