40. Leipzig Marathon 2016
– von Andreas Gelhaar –
Unser Professor hatte zu den letzten Lauftreffs immer wieder gefragt, ob noch jemand Ambitionen hat, zum Leipzig-Marathon zu starten. Wie in den vergangenen Jahren hatte ich auch dieses mal geflissentlich darüber hinweg gehört. Nach bisher 23 Teilnahmen hatte ich mich 2006 dazu entschieden, dass das genug ist und beschlossen, diesen Marathon an den berühmten Nagel zu hängen. Und dann bekam ich erst Anfang der Woche vor dem Lauf mit, dass in diesem Jahr mit dem 40. ein Jubiläum ins Haus steht. Das bewog mich dann meine vor 10 Jahren gefällte Entscheidung zu überdenken und so zu sagen als „halber“ Stammgast bei diesem Lauf noch mal einen Start in Betracht zu ziehen. Eine Sache stand dem Vorhaben doch zunächst im Weg: Ich hatte vier Tage vor dem Ereignis einen Termin beim Venen-Doktor, der mir an beiden Beinen per Laserbehandlung Krampfadern beseitigen sollte. Im Merkblatt für den Patienten für die Zeit nach der OP stand geschrieben, dass man sich unbedingt sofort bewegen und möglichst Rad fahren oder Spaziergänge machen solle. Das war dann auch der Ansatz für das Gespräch während der nur mit lokaler Betäubung durchgeführten Maßnahme. Auf meine Frage nach der Durchführung von langsamen Dauerläufen gab es seitens des Doc keine Einwände. Und da auch „etwas länger dauernde“ Einheiten nicht grundsätzlich abgelehnt wurden, brachte ich es dann mit der konkreten Frage auf den Punkt: Kann ich am Sonntag die klassische Distanz im Zuge eines längeren Dauerlaufs angehen. Das „ja“ kam etwas zögerlich, aber es kam. Einzige Bedingung: ich muss die langen Kompressionsstrümpfe tragen. Aber das hätte ich ja sowieso gemacht. Um den Heilungsprozess voran zu treiben, standen von Mittwoch bis Sonnabend täglich 80 km Radfahren in moderatem Tempo auf dem Programm. Im Vorfeld des Ereignisses berichtete dann die Leipziger Volkszeitung in einem großen Artikel über den anstehenden Jubiläumslauf.
Abgedruckt war ein historisches Bild von der Spitzengruppe beim ersten Marathon und dazu ein Interview mit dem damaligen Sieger, Roland Winkler (der Läufer mit der Mütze). Dieser kündigt darin an, dass er 40 Jahre danach erneut an den Start gehen wird. Für mich eine phänomenale Konstellation, dass jemand mit sage und schreibe 217.000 Laufkilometern auf dem Tacho nach diesem langen Zeitraum wieder hier am Start steht. Insgeheim hoffe ich beim Lesen des Artikels, dass es doch eine geniale Sache wäre, wenn ich ihn dabei begleiten könnte. Bei der Bestrafung für meinen späten Entschluss hier zu laufen, reihen sich dann übrigens die Leipziger Organisatoren in die Gilde anderer Veranstalter ein und kassieren dafür ordentlich ab. Die zu berappenden 60 € sind das Doppelte des günstigsten Preises für die Teilnahme! Meine Frage nach einem Rabatt für Vielstarter wird dabei abschlägig beschieden. Während der erste Leipzig Marathon eine Hitzeschlacht war, weist die Wetterprognose für den Jubiläumslauf kalte Temperaturen von nur bis zu 6 Grad mit einem Mix von Wolken, Sonne und sogar Schneeschauern aus. Ich fahre mit dem Rad nach Leipzig rein und bekomme dabei schon den straffen kalten Westwind voll zu spüren. Da ich ja erst vor 2 Wochen den Göltzschtal-Marathon gelaufen bin, habe ich keinerlei zeitliche Ambitionen. Im Gegenteil, ich habe den Fotoapparat dabei und will einige Impressionen des Laufs einfangen. Der Starterpulk ist ganz ordentlich groß. Das Jubiläum hat wohl doch einige dazu bewogen, ihren Frühjahrsmarathon in diesem Jahr in der Stadt zu bestreiten, die den Grundstock dafür gelegt hat, dass wir aus dem Osten Deutschlands seit über 25 Jahren in der ganzen Welt Marathon laufen können.
Am Start sind u. a. auch Mitglieder der Laufgruppe Mauerweg aus Berlin und die Sonntagssäufer aus der Pfalz. Ich treffe den in der M50 startenden Ulf Biermann, der vor zwei Wochen in Hannover mit 2:59:44 h eine satte Punktlandung hingelegt hat und das heute noch mal wiederholen will. Zeit für ein Vor-dem-Start-Foto ist noch. Der Countdown wird herunter gezählt und dann geht’s um zehn los. Von Roland ist zunächst nichts zu sehen. Da ich ziemlich weit hinten stehe, wird er wohl vor mir sein. Schon nach kurzer Zeit steht die erste Trommlergruppe am Streckenrand und macht Stimmung.
Interessant ist, wie unterschiedlich bei dieser kühlen Witterung die Kleiderwahl der Marathonis ausgefallen ist. Offensichtlich je nach dem, welchem Teil des Wetterpiktogramms man am Meisten Glauben geschenkt hat, so hat man sich auch bekleidet. Es ist alles dabei: Läufer, die auch bei plötzlich einsetzender Hitzewelle überhaupt nichts falsch gemacht hätten und solche, die im Falle eines Wintereinbruchs keinerlei Probleme hätten.
Auch ich hatte weniger der Klimaerwärmung Glauben geschenkt, sondern mich für Mütze und vollständige Körperbedeckung entschieden. Und immer wieder respektabel ist, dass sich auch Läufer auf diesen langen Kanten wagen, deren körperliche Voraussetzungen dafür als gar nicht so günstig gelten. Wenn das fast winterliche Wetter schon für die meisten Aktiven nicht das ist, was sie sich vorgestellt haben, dann ist das für die Zuschauer schon mehr als bescheiden. Auch wenn der Leipzig Marathon in seiner vierzigjährigen Geschichte leider noch nie, nicht mal bei sommerlicher Hitze, eine den Veranstaltungen in Hamburg oder Berlin annähernd vergleichbare Zuschauerresonanz hervorgerufen hat, so animiert das heutige Wetter natürlich überhaupt nicht zu einem Besuch an der Laufstrecke. In großen Abschnitten halten sich daher Zuschauer und Ordner fast die Waage.
Nur an markanten Streckenpunkten sind ein paar mehr Zuschauer anzutreffen. Insbesondere Kinder sind hier beim Abklatschen eifrig bei der Sache. Da sich der Flüssigkeitsverlust bei diesen Temperaturen in Grenzen hält, ist an den Verpflegungsstellen naturgemäß anfänglich noch nicht viel los.
Für den Kopf überhaupt nicht gut ist die Eigenart eines Marathons über zwei Runden, da man in der ersten Runde auch schon immer die Kilometerschilder sieht, bis zu denen man erst mal noch 21,1 km hinter sich bringen muss. Nach einer Stunde sehe ich dann Roland vor mir und laufe an ihn heran. Er ist gut drauf und das Hallo ist groß. Wir laufen ein schönes ruhiges Tempo und haben uns einiges zu erzählen. In der Zwickauer Straße treffe ich an der Verpflegungsstelle zwei Oberholzerinnen beim Tee ausschenken.
Da der LFV Oberholz sage und schreibe – vielleicht auch nicht ganz zufällig – 42 Teilnehmer auf den einzelnen Strecken am Start hat, davon allein 24 auf der Halbmarathonstrecke, sind das wahrscheinlich die beiden einzigen, die heute nicht laufen. Angesichts dieser Präsenz sollte unsere Laufgruppe doch mal in sich gehen. Eine „Streckenpostin“ – oder gibt bei diesem Wort vielleicht gar keine Chance für eine zu verweiblichende Version? – ist dick eingepackt, es ist aber auch wirklich lausig kalt.
Nur wenn mal die Sonne heraus kommt, dann ist es gleich ganz angenehm warm. Horst Teichert, Urgestein der Leipziger Laufszene und mittlerweile in der M75 startend, begleitet uns ein Stück mit dem Rad. Und auch Michael Koch aus unserem Verein, gleiche Altersklasse, ist mit dem Rad an der Strecke unterwegs. Es läuft immer noch schön rund bei uns zweien, aber wir sind ja auch erst in Runde eins, da sollte das auch nicht anders sein. Roland merkt schon mal vorsorglich an, dass er die ersten Kilometer doch etwas zu forsch angegangen ist und er das jetzige Tempo wohl nicht halten kann. Mir soll es egal sein, ich freue mich mit ihm laufen zu können. Die Zeit ist mir egal.
Und natürlich ist er bekannt wie ein bunter Hund und muss sogar unterwegs ein Interview geben. Die verschiedenen Bands geben sich alle Mühe die Marathonis gut zu unterhalten. An der Verpflegungsstelle auf dem Schleußiger Weg wird das Wasser so nett angeboten, da können wir gar nicht anders als zugreifen. Helge Hallmann beehrt uns auch einmal vor und dann noch mal nach seiner heutigen Schwimmeinheit.
Mit abnehmender Entfernung zur Halbmarathonmarke und damit auch zum Zielareal ist dann schon etwas mehr Zuschauerresonanz als auf der freien Strecke. Die halbe Miete haben wir im Kasten, es geht in Runde Nr. 2. Wie bei jeder anderen großen Laufveranstaltung wimmelt es auch hier nur so von Streckenfotografen, von denen einzelne schon mit großem Einsatz dabei sind.
Und an der Verpflegungsstelle auf dem Ring treffen wir auf die in der Leipziger Laufszene gut bekannte Elfriede Oehlert, die hier Getränke anbietet. Nach 2½ Stunden kommt die 4-Stunden-Gruppe von hinten heran. Roland erwägt zunächst dort mit zu laufen, aber dann ist es ihm doch ein Tick zu schnell. Wir verzichten und laufen weiter unser Ding. Die Passagen mit Gegenwind haben es doch ganz schön in sich. Damit er Kraft sparen kann versuche ich ihm so gut es geht Windschatten zu geben.
Dass der Kurs zwar flach ist, es auf einigen Streckenabschnitten aber einen leichten, mit einigen Kilometern in den Beinen schon merklichen Anstieg gibt, das bekommt man erst so richtig in der zweiten Runde mit. In der Connewitzer Straße steht eine einsame Zuschauergruppe, von denen die zwei Kinder ihr bestes geben. Und wenig später ist ein Trio auf einem Balkon dabei uns nach Kräften anzufeuern.
Ja und Zuschauer mit Postern sind natürlich auch am Streckenrand anzutreffen. Während einige zur Unterstützung konkreter Marathonis dienen, verkünden ganz ernste Weisheiten.
Mittlerweile ist die Sonne doch etwas häufiger präsent, sodass auch der am Schleußiger Weg stehende Fanfarenzug die wärmenden Strahlen genießt. Hier hat sich auch Simone Cotta aus unserem Verein eingefunden, die vor zwei Wochen ihren zweiten Marathon in Wien gelaufen ist.
Wir sind immer noch guter Dinge unterwegs. An uns schiebt sich in langsamen Tempo ein Elektro-BMW vorbei, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich die Spitze des Halbmarathons nähert. Es ist Maik Willbrandt aus Leipzig, danach kommt erst mal eine Weile nichts. Ja und nun ist es auch nicht mehr weit bis ins Ziel der Wünsche. Kurz bevor wir das erreichen kommt noch Uwe Wirsing vorbei geflogen, der in 1:27:10 h finisht und Dritter in seiner Altersklasse wird. Roland, der beim Einbiegen in die lange Zieleinlaufgasse sofort erkannt und vom Sprecher angesagt wird, genießt die letzten Meter in vollen Zügen.
Fotografen und Fernsehen sind dann sogleich zur Stelle und Roland gibt ein erstes kurzes Statement ab. Ja und dann ist auch Zeit für ein Foto unseres Zweier-Teams, das heute im besten Sinne des von Roland von 1979 bis 2009 im Berliner Plänterwald organisierten Team-Marathons diesen Marathon erfolgreich beendet hat. Dann noch ein Finisherfoto zusammen mit Uwe und ein erstes Bier – natürlich alkoholfrei – an den Ständen der Zielverpflegung. Hier ist mal ausnahmsweise nicht Erdinger der Sponsor, sondern Krombacher. Die weiteren auf der Halbmarathonstrecke aktiven Mitglieder unserer Laufgruppe kommen dann auch nach und nach ins Ziel. Bernhard, einer von den insgesamt 31 finishenden männlichen Müllers, schrammt ganz knapp an den zwei Stunden vorbei.
Unser Hajo, Jahrgang 1941, läuft in 2:21:22 h über die Ziellinie und wird Dritter in der M75. Und zwischen den beiden kommt Katrin Röhner, die heute als einzige das weibliche Geschlecht unserer Laufgruppe vertritt, nach 2:16:39 h ins Ziel. Ja und Ulf Biermann hat dann heute leider doch mit 3:00:32 h die Punklandung ganz knapp verpasst. Aber das muss man auch erst mal machen, zwei solche Zeiten innerhalb von zwei Wochen abzuliefern.
Andreas Gelhaar
Laufgruppe Neue Linie
SG LVB Leipzig